Wissen Sie noch, wann Sie das erste mal Fernweh verspürten? Überfiel Sie schon einmal eine Sehnsucht, „die vertrauten Verhältnisse zu verlassen und sich die weite Welt zu erschließen“ (Definition auf Wikipedia)?
Ich selbst kann es einigermaßen genau benennen– nicht das Datum aber den Auslöser. Und den erlebte ich schon in Kindertagen, wenn wir unsere Verwandtschaft aus Berlin Spandau nach einem Besuch bei uns bis zum Grenzübergang Berlin Friedrichstraße brachten und sie im „Tränenpalast“ verschwanden. Da wähnte ich eine Welt jenseits der Grenze, die mir wohl immer verschlossen bleiben würde. Mein Vater prophezeite mir 1988, dass ich diese Welt erleben werde. Ich hatte ihm nicht geglaubt. Und doch bewahrheitete es sich schon ein Jahr später.
Mein Fernweh hatte viel mit Menschen zu tun und der Neugier zu erleben, wie sie leben. Ein Gemeindebesuch in Tansania im Jahr 2000 war mir viel eindrücklicher als ein Touristenurlaub in Afrika zwei Jahre später. Wenn ich an meine Sabbatzeit in den USA zurückdenke, sind es vor allem Erinnerungen an die Begegnungen mit Menschen, die mich lächeln machen. Aber natürlich haben nicht alle grandiosen Reiseeindrücke mit Menschen zu tun. Das Erleben absoluter Stille am Rande des Fish River Canyon in Namibia, ein Alpenblick, die Weite des Meeres, aber auch heilige Momente in einer leeren Kirche hatten nur noch mit mir und vielleicht noch mit meinem Schöpfer zu tun.
Während der Corona- und damit reisefreien Zeit hatte ich mir die Frage gestellt, was der Mehrwert für mich durch das Reisen ist. Als erstes kann ich nur Mark Twain zustimmen, der überzeugt war, dass Reisen „tödlich für Vorurteile“ ist. Schubladendenken ist zwar einfach, aber nie angemessen. Wer auf seinen Reisen mehr kennenlernt als die eigenen Landsleute im Bus, auf dem Schiff oder am Pool, wer sich auf andere Kulturen und die Mitmenschen dort einlässt, wird immer mit differenzierterer Sicht auf Land und Leute heimkehren. Reisen inspiriert mich für meine Arbeit, es weitet meinen Horizont und gibt mir die Chance, meinen Alltag auch einmal von außen zu betrachten. Eine Erkenntnis ist nach all den Reisejahren weitgehend: Egal wohin es geht, dem Alltag kann ich entfliehen, aber nicht mir selbst. Anderen geht es offenbar ähnlich und so nutzen nicht wenige heutzutage Reisen und insbesondere das Pilgern, um die eigenen Prioritäten zu klären. Schlussendlich machen mich Reisen demütig vor Gottes Schöpfung, dankbar für all die Schönheit dieser Welt, die es bei allem Leid, das wir täglich in den Nachrichten sehen, auch in Vielfalt gibt. Seien Sie gespannt auf die vielen weiteren Beiträge zu Fernweh, Pilgern und Reisen in diesem Gemeindebrief.
Peter Kubath