„Nicht, was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern und wie wir es erinnern, um davon zu erzählen.“ (Gabriel Garcia Márquez)
„Komm, erzähl mir was, plauder auf mich ein. Ich will mich an dir satt hörn, immer mit dir sein.“ (Herbert Grönemeyer)
„Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt’s dem andern und eine Nacht tut´s kund der andern.“ (Psalm 19,2.3)
Diese und viele andere Zitate sind mir bei der Beschäftigung mit dem Erzählen in den Sinn gekommen. Das Erzählen scheint eine erd- und himmelumspannende Angelegenheit zu sein! Ist es nicht tatsächlich so, dass unser Leben erst durch das Erzählen reich wird, Tiefe und inneren Zusammenhang gewinnt? Erzählungen begleiten unser ganzes Leben: Eltern erzählen ihren größer werdenden Kindern von der Zeit, als sie noch klein waren, Kinder erzählen von ihren Erlebnissen, alte Menschen erzählen, wie es früher war, Paare halten die Erzählung an ihre erste Begegnung wach und langjährige Freunde rufen alte Erinnerungen auf: „Weißt du noch?“
Das bekannte Weihnachtslied EG 52 stellt uns genau diese Frage: „Wisst ihr noch, wie es geschehen?“ „Aber ja!“, wollen wir spontan antworten, „das weiß doch jedes Kind!“ Alle Jahre
wieder lassen wir uns schließlich gern daran erinnern. Und immer genau denselben Wortlaut muss es haben, damit die Erzählung stimmt: „Es begab sich aber zu der Zeit…“. Aber wissen wir wirklich, was geschehen ist und – vor allem – wie es geschehen ist? Und welche Art von Wissen könnte geeignet sein, um diese Geschichte zu verstehen? Und reicht es aus, strophenweise aufzuzählen, was in welcher Reihenfolge geschah, damit auch unser Herz Bescheid weiß?
Die Weihnachtsgeschichte, ob in Worten oder in Tönen, ist vertraut und irritierend zugleich. Scheinbare Widersprüche treffen aufeinander, ja fangen sogar eine Art Gespräch miteinander an: Göttliches und Menschliches, Reichtum und Armut, Trompeten und Flöten, strahlende Chöre und schlichte Choräle. Vor allem in klingender Weise berühren die vertrauten Worte einen inneren Bereich in uns, der jenseits von Worten und Faktenwissen etwas in uns zum Schwingen bringt.
Doch unser Lied bleibt nicht bei der Innerlichkeit stehen. Es nimmt uns, indem wir es singen, jedes Jahr neu eine Art Versprechen ab: „Immer werden wir’s erzählen!“ Immer. Also nicht nur zur Weihnachtszeit! Werden. Also jetzt und in Zukunft! Wir. Also wer, wenn nicht wir? Erzählen.
Also frei nach Gabriel Garcia Márquez: Die Weihnachtsgeschichte ist nicht nur das, was irgendwann geschehen ist, sondern auch das, was wir verinnerlicht haben; mehr noch: das, was wir erinnern, um davon zu erzählen.
Singend und musizierend, vorlesend und (Krippen-)spielend, jauchzend-frohlockend und staunend-leise.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen eine erzähl- und gnadenreiche Advents-und Weihnachtszeit
Ihre Kantorin
Mirjam Stange-Döring