Liebe Leserin, lieber Leser, Schwellenmomente fordern mich heraus. Etwas Neues wird passieren. Ich muss mich auf etwas „gefasst machen“. Und danach bin ich wahrscheinlich nicht mehr genau dieselbe. Das Neue wird mich verändern.
Zum ersten Mal über die Schwelle des Kindergartens, später über die der Grundschule in unserem Dorf („Jucheh, ich bin ein Schulkind und nicht mehr klein…“), viele neue Gebäude und Orte folgten. Irgendwann zum ersten Mal die Schwelle zu einem Klassenraum, in dem ich nun selbst die Lehrerin sein sollte, die Schwelle zu einer Kirche, in der ich nun meinen ersten Gottesdienst als Pfarrerin begleiten sollte.
Viele solcher Schwellenmomente habe ich bei meinen eigenen Kindern schon begleitet. Da waren diese Schwellen-Gefühle auch meine Begleiter: die Aufregung, die Unsicherheit, die Vorfreude und die Sehnsucht, die Angst und manchmal auch die Traurigkeit… denn schließlich ist ja auch gerade etwas zu Ende gegangen, sonst stünde ich jetzt nicht hier an der Schwelle.
Sie werden eigene Schwellenmomente erinnern, vielleicht auch die Gefühle, die Sie dabei hatten – ein Geruch, eine Stimmung, das Wetter an diesem Tag.
Selbst wenn nicht immer ein großes Abschieds- oder Anfangsfest gefeiert wird, der Schritt auf und über eine „Lebensschwelle“ birgt in sich schon ein kleines Ritual. Nämlich dann, wenn ich diesen Schritt bewusst gehe. Wenn ich zurückgeschaut habe, einen Moment angehalten und mich auf das Neue ausgerichtet habe – es freudig begrüße oder mich vorsichtig hineintaste.
So steckt in jedem neuen Morgen auch der Schritt über eine Schwelle. Etwas Neues kann passieren, vielleicht muss ich mich auf etwas gefasst machen und heute Abend werde ich nicht mehr ganz genau dieselbe sein, wie am Anfang des Tages. Jeden Morgen ein kleiner Schwellenmoment.
Aber manchmal braucht es diese ganz großen Momente:
Konfirmation. Heute stehst DU im Mittelpunkt. Wir feiern DICH und DEIN Leben, das Gott DIR geschenkt hat! Wir feiern, was DICH ausmacht, wie wunderbar Du gemacht bist. Und dass DU mit GOTT verbunden bist und bleibst. Wir feiern auch – oder vergewissern uns – dass GOTTES Liebe größer ist, als meine Angst um DI CH, weiter reicht, als meine kleinen Bemühungen, alles gut und richtig zu machen und tiefer geht, als das, was mein Leben schwer macht. Wir feiern, dass sich ein weiter heller Raum öffnet, hinter der Schwelle.
Hochzeit. Wir feiern, dass Ihr Euch gefunden habt, dass zwischen Euch etwas zum Blühen kommt, was nur miteinander möglich ist. Wir feiern die Liebe und dass Ihr teilen wollt, was vor Euch liegt. Und wir vertrauen darauf, dass sich durch dieses Fest ein weiter heller Raum für Euch öffnet.
Geburt. Wir feiern die Kraft des Lebens, die so klein und zart sein kann, die Schönheit und Liebe Gottes, wir feiern, was durch diesen Menschen alles Neues in die Welt kommen wird und sind bereit, unser eigenes Leben durch dieses Kind verändern zu lassen. Wir sind gespannt auf den weiten hellen Raum, der sich öffnet, hinter der Schwelle.
Manchmal muss ich auch über eine Schwelle gehen, wo ich genau weiß, dass sich eine Tür für immer hinter mir schließt. Manchmal muss ich einwilligen, mich von einer Lebensmöglichkeit verabschieden, eine Erkrankung annehmen oder auch nur das nächste graue Haar auf meinem Kopf.
Und eines Tages wird es die Schwelle zur Ewigkeit sein, über die ich einen lieben Menschen gehen lassen muss oder über die ich selbst gehe. Ich vertraue und hoffe, dass sich auch dann ein weiter heller Raum öffnet, hinter der Schwelle. Gott, Du segnest meine Schritte über die Lebensschwellen, Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Herzlich grüßt
Anja Funke